Schrecklich, wenn eine Beziehung so enden muss: Am 24. Dezember vergangenen Jahres hatte eine 38jährige Reutlingerin ihrem Mann ein 30 Zentimeter langes Messer in den Bauch gerammt. Er überlebte dank einer Notoperation und saß vergangene Woche bei der Urteilsverkündung als Nebenkläger im Landgericht in Tübingen. Zunächst hatte es bei der Verhandlung so ausgesehen, als ob die Frau das eigentliche Opfer gewesen wäre: Sie schilderte, wie sie über 15 Jahre hinweg immer wieder von ihrem Mann verbal misshandelt, geschlagen und geprügelt worden sei.
Vor drei Jahren habe sie den Gatten aus der Wohnung geworfen, kam aber nie von ihm los - das traurige Spiel begann immer wieder von vorne. All das klang ganz nach so vielen Geschichten, die im Reutlinger Frauenhaus allzu oft erzählt werden. Durchschnittlich sieben Mal kehren die Frauen dort immer wieder zu dem gewalttätigen Mann zurück, bevor sie ihm endgültig den Rücken kehren.
Vor dem Landgerichtet wendete sich vergangene Woche das Blatt jedoch: An jenem Heiligen Abend sei das übervolle Fass des dramatischen Beziehungsstreits zwischen den beiden Eheleuten durch einen einzigen Tropfen übergelaufen, resümierte der sachverständige Psychiater Dr. Peter Winckler.
Eskalationen hatte es in der Beziehung der Beiden zuvor schon viele gegeben - einmal habe die 38-Jährige im Streit mit einem Fön nach ihrem Mann geschlagen, wie sie selbst berichtete. Einmal habe sie mit einem Baseballschläger nach dem Gatten geschlagen und ihn am Arm verletzt. Er hatte sie daraufhin angezeigt, das Verfahren wurde aber eingestellt.
Offensichtlich konnte das Paar nicht miteinander auskommen, ohne ging es aber auch nicht. Wer schlussendlich in den jeweiligen Situationen Täter oder Täterin war, wer das Opfer – das könne nach Ansicht des Gerichts nicht mehr geklärt werden. »Für uns war diese Ehe ein Stück weit eine Blackbox«, hatte Richter Ulrich Polachowski in der Urteilsbegründung betont. Eigentlich sollten an diesem Tag nur die Weihnachtsgeschenke für die drei Kinder aus der Wohnung des Vaters abgeholt werden. Eine Freundin sowie die ebenfalls anwesende Mutter des Mannes bestätigten einmütig, dass die Provokationen von der stark angetrunkenen Angeklagten ausgegangen seien. Als ihr Mann sie aus der Wohnung weisen wollte, habe sie in der Küche ein herumliegendes Messer ergriffen und um die Freundin herum – die vermittelnd eingreifen wollte – ihrem Mann das Messer in den Bauch gerammt.
Rebecca Rödl hatte als Rechtsanwältin der Nebenklage betont, dass es sich bei dieser Tat sehr wohl um einen mit Heimtücke ausgeführten versuchten Mord gehandelt habe. Schließlich habe ihr Mandant das Messer nicht sehen können und somit auch keine Möglichkeit zur Abwehrreaktion gehabt - weil die Freundin ja zwischen dem Paar stand. Das Gericht wie auch Oberstaatsanwalt Dr. Thomas Trück hatten das anders gewertet: Es sei kein versuchter Mord gewesen, sondern versuchter Totschlag – weil die Tat ja nicht geplant war, sondern spontan und somit auch ohne Heimtücke ausgeführt wurde. Das Messer habe zufällig auf der Arbeitsplatte gelegen – wäre es stattdessen ein Nudelholz gewesen, hätte die Angeklagte wohl damit zugeschlagen. Und das Opfer hätte nicht viel mehr als eine Beule davongetragen.
So aber war es zu diesem dramatischen Ende einer tragischen Beziehung gekommen. Die Angeklagte bekam mit vier Jahren Haftstrafe ein verhältnismäßig hartes Urteil – die beiden Verteidiger hatten in ihren Plädoyers eine Bewährungsstrafe gefordert. Vielleicht ist diese Unterbrechung der Beziehung für das Paar aber tatsächlich hilfreich und sie kommen nun endlich voneinander los. Ganz schwierig ist in diesem Zusammenhang aber die Situation der Kinder – sie mussten quasi schon von Geburt an die Provokationen und die Gewaltatmosphäre zwischen den Eltern ertragen. Sie sind die eigentlichen Opfer dieser unmöglichen Beziehung.
Ende einer tragischen Beziehung
Es gibt sozialisationsbedingt bei den verübten Straftaten eine geschlechtsspezifische Verteilung. Bei schwerer körperlich verübter Gewalt und versuchtem Totschlag sind die Täter meist Männer. Bei häuslicher Gewalt, also bei Partnerschaftsgewalt sind die überwiegende Mehrheit der Täter ebenfalls männlich. Wenn nun, wie in der Beziehung der 38-jährigen Reutlingerin geschehen, die Partnerschaftsgewalt mutmaßlich nicht nur vom Ehemann, sondern auch von der Ehefrau ausgegangen ist, dann verhält sie sich entgegen ihrer Geschlechternorm. Daraus resultiert leider auch, dass Frauen oft für das gleiche Gewaltverbrechen bei Gericht unverhältnismäßig härter bestraft werden als Männer. Letztere, die aus verletzter Ehre oder aus Eifersucht ihre Partnerin attackieren, bekommen aus den eben genannten Motiven vor Gericht oft noch strafmildernde Umstände zugestanden. Dies ist in der Tat ungerecht, aber auch Staatsanwälte und Richter sind eben Teil dieser Gesellschaft und damit von ihren gesellschaftlichen Normenvorstellungen nie gänzlich frei. Vier Jahre Haft ist in der Tat ein hartes Urteil, wenn man berücksichtigt, dass die Verurteilte angetrunken war und die Beziehung anscheinend jahrelang von gegenseitigen Übergriffen geprägt war. Was ich mich frage ist, warum niemand auf die Kinder aufmerksam wurde, denn häusliche Gewalt ist zweifelsfrei eine Kindeswohlgefährdung. Welch unermessliches Leid diese erfahren haben, mag man sich nicht vorstellen. Wir müssen uns dennoch fragen, wie es sein konnte, dass schutzbedürftige Kinder so lange einem von Gewalt geprägten Elternhaus ausgesetzt waren. Haben die Nachbarn, Lehrer, Erzieher, Familienangehörige, Freunde des Ex-Paares nichts mitbekommen? Wo war das Reutlinger Jugendamt? Sind die Kinder zumindest jetzt gut aufgehoben? Auch dies ist fraglich, wenn die Kinder ohne Weiteres einfach so beim Kindesvater verbleiben, weil es ja die Aussage gegeben hatte, dass die Partnerschaftsgewalt auf Gegenseitigkeit beruhte. Das Jugendamt müsste nunmehr prüfen, wo die Kinder am besten aufgehoben sind bzw. ob dem Kindesvater vorab Hilfen angeboten werden müssten. Für von häuslicher Gewalt Betroffene ist es besonders schwer vom gewaltausübenden Partner loszukommen, wenn Kinder mit im Spiel sind. Denn laut Familienrecht dient das gemeinsame Sorgerecht und das Umgangsrecht dem Wohle des Kindes. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Familiengerichte oft genug auf gemeinsames Sorgerecht entscheiden, selbst wenn die geprügelte Frau endlich den Mut aufgebracht hat sich zu trennen und die Alleinsorge beantragt hat. Hier muss gesetzlich dringend nachgebessert werden, denn das gemeinsame Sorgerecht setzt voraus, dass sich Eltern auch nach einer Trennung über die Belange der Kinder verständigen können und sich kindeswohlorientiert einigen können. Dies setzt ein respektvolles Miteinander der Eltern voraus, die sich auf Augenhöhe begegnen. All dies trifft bei häuslicher Gewalt nicht zu. Ich appelliere daher an alle, sich beim Gesetzgeber im Interesse der Kinder für eine entsprechende Gesetzesänderung einzusetzen, denn Kinder sind auf unseren Schutz angewiesen.